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Nicht in Stein gemeißelt: Spezialisierung von Ameisenköniginnen hängt vom sozialen Umfeld ab

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Spezialisierung von Ameisenköniginnen auf Eiablage ist umkehrbar und wird durch Anwesenheit von Arbeiterinnen ausgelöst und aufrechterhalten

26.03.2024

Die Königinnen sozialer Insekten, wie etwa Ameisen, Bienen oder Wespen, gelten gemeinhin als Höhepunkt der Spezialisierung im Tierreich. Königinnen, so die verbreitete Ansicht, seien nur dazu da, Eier zu legen – und diese Eigenschaft sei angeboren und nicht von äußeren Faktoren beeinflusst. Forschungen an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz (JGU) zeigen im Gegensatz zu dieser Auffassung, dass in Ameisenstaaten das soziale Umfeld eine entscheidende Rolle bei der Verhaltensspezialisierung von Ameisenköniginnen spielen kann. "Die Spezialisierung der Königinnen unterliegt bei der Ameisenart, die wir untersucht haben, einer sozialen Kontrolle. Mit diesem Befund stellen wir das weithin akzeptierte Dogma infrage, wonach Insektenköniginnen praktisch als Eierlegemaschinen geboren werden", erklärt Dr. Romain Libbrecht.

Die Arbeiten wurden in der Forschungsgruppe "Reproduktion, Ernährung und Verhalten von Insektenstaaten" unter Libbrechts Leitung an der JGU durchgeführt und nun in dem Fachmagazin Functional Ecology veröffentlicht. Mittlerweile arbeitet der Evolutionsbiologe für das renommierte Centre national de la recherche scientifique (CNRS) an der Universität Tours in Frankreich.

Vorstellung von Insektenstaat als Superorganismus mit spezialisierten Individuen

Soziale Insektenkolonien bestehen aus Königinnen, die die Fortpflanzung monopolisieren, und sterilen Arbeiterinnen, die alle nicht-reproduktiven Aufgaben übernehmen, wie beispielsweise die Versorgung von Eiern und Larven. Diese Ansicht stellen die Forschenden in ihrer neuen Studie auf die Probe. Sie nehmen dafür Ameisenarten in den Fokus, bei denen die Königinnen neue Kolonien allein und ohne die Hilfe von Arbeiterinnen gründen. "Interessanterweise sind die Gründungsköniginnen in dieser Lebensphase noch nicht in ihrem Verhalten spezialisiert", so Libbrecht. "Sie müssen alle Aufgaben im Nest wie auch die Brutpflege selbst übernehmen, um die erste Generation an Arbeiterinnen erfolgreich großzuziehen."

Libbrechts Gruppe hat die experimentellen Untersuchungen an der einheimischen Schwarzen Wegameise Lasius niger vorgenommen. Sie zeigen die zentrale Rolle des sozialen Umfelds bei der Ausbildung von Verhaltensspezialisierung von Gründungsköniginnen. "Wenn wir Arbeiterinnen zu den Nestern von Gründungsköniginnen hinzugeben, unterdrückt dies die natürliche Veranlagung dieser Königinnen, sich um die Brut selbst zu kümmern. Und umgekehrt: Wenn wir aufs Eierlegen spezialisierte Königinnen von ihren Arbeiterinnen isolieren, dann kehren sie schnell zum Brutpflegeverhalten von Gründungsköniginnen zurück – selbst nach vielen Jahren der Spezialisierung."

Verständnis von Insektengesellschaften und ihrer Arbeitsteilung ist zu überdenken

Libbrecht betont, dass ein solches Verhalten die weithin akzeptierte Vorstellung infrage stellt, dass soziale Insektenköniginnen von Natur aus "spezialisierte Maschinen" zur Eiablage sind. Stattdessen zeige die Studie, dass die Anwesenheit von Arbeiterinnen die Spezialisierung der Königin auf die Eiablage nicht nur auslöst, sondern darüber hinaus die Spezialisierung auch in etablierten Kolonien aktiv aufrechterhält. Diese Entdeckung, dass die Spezialisierung der Königinnen einer sozialen Kontrolle unterliegt, könnte unser Verständnis davon verändern, wie Insektengesellschaften und ihre Arbeitsteilung funktionieren.

Dr. Romain Libbrecht war von 2016 bis 2022 Gruppenleiter der Forschungsgruppe "Reproduktion, Ernährung und Verhalten von Insektenstaaten" am Institut für Organismische und Molekulare Evolutionsbiologie (IOME) der JGU. Seit 2023 ist er als Forscher des CNRS am Forschungsinstitut für Insektenbiologie der Universität Tours tätig. Er beschäftigt sich insbesondere mit der Frage, wie Organismen ihre Fortpflanzung, ihre Physiologie und ihr Verhalten an die Umweltbedingungen anpassen.


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